Nur modern sein zählt nicht.

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Christoph Nowag

Veröffentlicht am 

von Christoph Nowag

Kategorie: Archiv

Vor kurzem durfte ich der Sitzung zweier Rechtsanwälte beiwohnen. Unser Anwalt lief mit mehreren Aktenordner unter dem Arm ein, der gegnerische Anwalt nur mit einem iPad. Da wir noch etwas Zeit hatten, konnte ich mich mit dem gegnerischen smarten Anwalt über Büroorganisation etc. austauschen. Ergebnis: Der Anwalt hat ein komplett papierloses Büro, vor einem Auswärtstermin werden alle Dokumente auf das iPad übertragen. So sind alle Unterlagen und Daten dabei. – Ich war tief beeindruckt. Unser Anwalt mit seinem vielen Papier, Heftnotizen und Post-Its sah dagegen etwas althergebracht aus.

Der Austausch über den Fall begann. Und nach kurzer Zeit passierte etwas, was ich so noch nicht gesehen hatte: Der smarte Anwalt kegelte sich selbst aus dem Spiel. Denn er fand in seinem iPad so schnell die diversen Schriftstücke nicht. Wenn er sie fand, musste er sie vergrößern, um sie lesen zu können. Und er durfte häufig zwischen verschiedenen Dokumenten hin- und herspringen. Als Höhepunkt versuchte er auch noch Notizen auf der  iPad-Tastatur zu schreiben.

Jetzt war ich noch tiefer beeindruckt: Der Anwalt hatte seine Technik nicht im Griff. Er konnte nicht mitreden, weil ihm der schnelle und unkomplizierte Zugriff fehlte. Letztendlich setzte er sich neben unseren Anwalt, um mit in dessen Akten zu schauen. So richtig smart war das jetzt nicht mehr.

Es ist vollkommen egal, was für Systeme wir einsetzen; sie müssen funktionieren und wir müssen uns damit auskennen und sie beherrschen. Nur modern sein zählt nicht.

7 Gedanken zu „Nur modern sein zählt nicht.“

  1. Oh je der Arme !
    Tja, das ist wohl wahr : Technik haben und diese richtig einsetzen können, sind immer noch zwei verschiedene Dinge. Außerdem sind so manche althergebrachte Vorgehensweisen auch zu gut, um sie nicht mehr einzusetzen. Ich denke, das ist wie so oft im Leben : „Das kommt eben immer darauf an … “ 😉

    • Hallo Frau Spelters,

      ich habe auch so altertümliche Hilfsmittel wie mein kleines rotes Notizbuch. Auf das könnte ich nur schwer verzichten.

      Beste Grüße
      Christoph Nowag

  2. Wir haben gerade beim Netzwerk-Jahrestreffen wieder erlebt, dass sich die Methode dem Inhalt unterordnen muss!
    Ich habe das als kleiner „Technik-Freak“ auch lernen müssen – heute teste ich die Technik immer erst unter Echt-Bedingunfgen aus ehe ich was Neues wirklich nutze.

    • Ich kann kann ganz Arien vom Misserfolg singen. Und ich probiere immer noch gerne Neues aus. Aber bevor ich es und mich auf die Menschheit loslasse, muß die ganz große Chance besten, dass es auch klappt.

  3. Die Niederlage des smarten, elektronisch-organisierten Anwalts kann aber auch an zwei Grundprinzip der Kommunikation liegen:
    1.) Wenn sich mindestens zwei Menschen unterhalten (müssen) und dabei Beweise diskutiert werden, dann funktioniert der „Fingerzeig“ auf eine Textstelle auf einem Blatt Papier in der schnellen und sich gegenseitig unter Druck setzenden Kommunikation einfach besser als ein Hinweis auf der aktuell verfügbaren Datei auf einem iPod, den man dann erst über den Tisch schieben muss, nachdem man die richtige Datei in der richtigen Größe verfügbar gemacht hat, weil dem Gegenüber nicht via Bluetooth mal eben der „Beweis“ auf dessen Elektronik sichtbar gemacht werden kann.
    2.) Wenn sich also „Papiertiger“ und „Megabyte“ unterhalten wollen, dann kann das nicht funktionieren…genauso wenig wie ein „Büroservice“ bei der Reparatur der Waschmaschine helfen können wird.

    • Hallo Nils,

      jeder hatte die Wahl der Mittel; der eine Teil hat zu seinem Nachteil entschieden. Aber was mir nicht in den Kopf will: Der Rechtsanwalt nutzt seit längerer Zeit schon sein Hilfsmittel. Wie kann man da so Schiffbruch erleiden. Premiere war es wohl nicht.

      Beste Grüße in den hohen Norden
      Christoph

      • Och, dass warum er dabei so Schiffbruch erlitten hat, obwohl er es schon lange nutzt, ist leicht erklärt…mal abgesehen von so Banalitäten wie „shit happens“:

        Der smarte, elektrofaszinierte Rechtsanwalt ist halt auf einen Kollegen getroffen, der sich bestens präparierte und den Umgang mit „Papier und Bleistift“ so verinnerlicht hatte, dass der RA mit seinem iPod lahm wirken musste, obwohl der eigentlich recht zügig war, nur gegen einen perfekt organisierten, an die Zettelwirtschaft schon seit den Studientagen gewöhnten, noch nie über elektronische Hilfsmittel nachgedacht habenden Rechtsanwalt, hatte er – relativ gesehen – keine Chance. Es ist alles eine Frage der Vorbereitung und das Maß der Gewöhnung auf beiden Seiten.

        Auf meinem Mountainbike, das ich täglich in Hamburg bewege, muss ich auch nicht mehr hinschauen, in welchem Gang ich gerade bin und ob ich für den nächsten Schaltvorgang vorne ein Ritzel höher schalten muss. Bei dem Fahrrad bei meinen Eltern, mit dem ich eigentlich auch sehr vertraut bin, ist das noch längst nicht so gut, obwohl ich da nicht zwischen 36 Gängen unterscheiden muss sondern nur zwischen 7.

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